griechische Mathematik

griechische Mathematik
griechische Mathematik,
 
die Mathematik, die sich in der Antike zwischen 600 v. Chr. (Thales von Milet) und 250 n. Chr. (Diophantos von Alexandria) entwickelt hat. Ihre Zentren lagen anfangs in Kleinasien, später in Athen und v. a. in Alexandria. Charakteristische Merkmale der griechischen Mathematik sind das Überwiegen der Geometrie gegenüber der Arithmetik, die deduktiv-beweisende Vorgehensweise, das Fehlen von Symbolen sowie die Vermeidung des (aktual) Unendlichen (»Finitismus«). Thales von Milet soll als Erster einen mathematischen Satz bewiesen haben. Dabei handelte es sich um die Behauptung, dass die Basiswinkel im gleichschenkligen Dreieck gleich seien. Zum Beweis verwendete er ein Klappverfahren. Die Pythagoreer entwickelten etwa gleichzeitig die Zahlentheorie weiter. Hierzu bedienten sie sich der Darstellung von Zahlen durch Rechensteine (griechisch psephoi), was zu einer sehr fruchtbaren Verbindung von Geometrie und Arithmetik führte (»geometrische Algebra«). Sie bewiesen damit Sätze wie »Die Differenz zweier aufeinander folgender Quadratzahlen ist stets ungerade«.
 
Im 5. Jahrhundert v. Chr. kamen die drei klassischen Probleme der griechischen Mathematik auf: Würfelverdopplung (delisches Problem), Dreiteilung des Winkels und Quadratur des Kreises. Einen wichtigen Einschnitt brachte die Entdeckung der Inkommensurabilität von Quadratseite und -diagonale (vermutlich durch Hippasos von Metapont) mit sich. Diese zeigte, dass der Bereich des arithmetisch Fassbaren nicht übereinstimmt mit dem geometrisch Anschaulichen. Als Reaktion hierauf - so vermuten manche Autoren - zog sich die griechische Mathematik auf das gesichert erscheinende Gebiet der Geometrie zurück. Die Lehre von den inkommensurablen Größen wurde von Theodoros und Theaitet weiterentwickelt. Euklids »Elemente« (um 325 v. Chr.), die ihrem Inhalt nach im Wesentlichen eine Sammlung bekannter Sätze (u. a. von Eudoxos von Knidos) waren, gaben der Mathematik ihre charakteristische Gestalt: Unter Voraussetzung von Axiomen werden durch logisches Folgern Theoreme bewiesen. Eine wichtige Rolle spielten auch die Konstruktionen mit Zirkel und Lineal bei Euklid.
 
Als Höhepunkt der griechischen Mathematik gelten die Werke von Archimedes. Dieser vervollkommnete die Flächenberechnung mithilfe der Exhaustionsmethode (Kreis, Parabelsegment) und bestimmte Volumina (Kugel, Pyramide). Er ermittelte Näherungswerte für die Kreiszahl π und entwickelte ein Darstellungssystem für große Zahlen (»Sandrechnung«). Neben Archimedes zeigte auch Heron starkes Interesse für Anwendungen der Mathematik (z. B. heronsche Formel; Dreieck). Insgesamt jedoch war die griechische Mathematik anwendungsfeindlich; das praktische Rechnen galt nicht als Angelegenheit der Gelehrten.
 
Apollonios von Perge (3. Jahrhundert v. Chr.) schuf ein umfassendes Werk zur Lehre der Kegelschnitte, in dem er die Arbeiten von Menaichmos und seines Lehrers Euklid zu diesem Thema weiterführte. Claudius Ptolemäus und Hipparch entwickelten Teile der Trigonometrie. Wesentliche Neuerungen erfuhr die griechische Mathematik danach nur noch im Werk von Diophantos von Alexandria. Dieser entledigte sich der herkömmlichen Beschränkungen, indem er auch negative und gebrochene Größen als Zahlen anerkannte und Exponenten größer als 3 zuließ. Bei ihm finden sich erste Ansätze zu einer von der Geometrie losgelösten, mit Symbolen arbeitenden Algebra. In der Nachfolge entstanden noch historische und systematische Werke, die als Quellen zur griechischen Mathematik von unschätzbarem Wert sind, die von Pappus, Proklos und Boethius. Auch die Werke von Platon und Aristoteles enthalten wichtige Hinweise zur griechischen Mathematik.
 
 
T. L. Heath: A history of Greek mathematics, 2 Bde. (Neuausg. New York 1981);
 O. Becker: Grundlagen der Mathematik in geschichtl. Entwicklung (Neuausg. 41990);
 H. Gericke: Mathematik in Antike u. Orient (Neuausg. 1992);
 A. Szabó: Die Entfaltung der g. M. (1994).

Universal-Lexikon. 2012.

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